Nienhüser, Werner (2014): Stellungnahme zur „Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften“. In: Stephan Laske und Manfred Schweres (Hg.): Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften. Vielfalt als Krisenindikator oder als Potenzial? Mering: Hampp, S. 121–122.
„Die deutschsprachige Arbeitsforschung hat zwischen 1970 und 1990 eine beachtliche Blüte erlebt: Gestützt durch gezielte Forschungsprogramme der damaligen Bundesregierungen einerseits und gesellschaftspolitische Öffnungen andererseits schienen „Humanisierung der Arbeit“ und „Arbeitsorientierung“ in der Arbeitswissenschaft und ihren arbeitsbezogenen Nachbarwissenschaften salonfähig geworden zu sein. Die in diesem Band versammelten Beiträge setzen sich kritisch mit der damaligen Verbreitung von Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften auseinander. Die Herausgeber wollen sich aber nicht auf eine historisierende Rückschau beschränken. Es gibt aktuell genügend Anlässe für die Frage, ob sich die Wissenschaft nicht erneut und vermehrt mit krisenhaften Erscheinungen am Arbeitsmarkt, in Arbeits- und Produktionsprozessen auseinandersetzen sollte: Eine Besorgnis erregende Jugendarbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Menschen, die trotz eines Arbeitsverhältnisses der Armutsfalle kaum entrinnen („working poor“), zunehmende Leistungsverdichtung mit der Folge eines Burnout oder Verstöße gegen Gleichbehandlungspostulate seien hier exemplarisch genannt. Bedarf es also einer „Revitalisierung der Arbeitsorientierung“ beziehungsweise der Humanisierung der Arbeit? Vielleicht steht hierfür ja derzeit ein „window of opportunity“ offen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD heißt es nämlich: „In enger Abstimmung mit den Sozialpartnern wollen wir die Arbeits-, Produktions- und Dienstleistungsforschung stärken und hierzu ein neues Förderungsprogramm auflegen. Dies trägt zur Sicherung einer hohen Beschäftigungsquote und zur Humanisierung der Arbeitswelt bei.“ Sollte die Arbeitsforschung vor einer neuen Blüte stehen …?!“ (Quelle: Stephan Laske, Manfred Schweres (Hrsg.): Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften. Vielfalt als Krisenindikator oder als Potenzial?
Schriftenreihe zur interdisziplinären Arbeitswissenschaft, hrsg. von Axel Haunschild, Günther Vedder, Rainer Hampp Verlag, München u. Mering 2014, 200 S., € 24.80; s.a. http://www.hampp-verlag.de/m@bs_aktuell.pdf
Mein Beitrag in dem Band ist so kurz, das ich ihn hier eingestellt habe:
„Stellungnahme zur „Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften“
Die Fragen lauten:
a) “Sehen wir das richtig, dass die “Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften” seit den 70er/80er Jahren abgenommen hat?“
b) “Wenn Ja, was hat zu diesem Wechsel in der Forschungsorientierung der BWL geführt?”
Zu a) Ja, die Arbeitsorientierung (AO) im Sinne einer Ausrichtung der Forschung, die normativ auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Humanisierung) zielte, hat in der BWL massiv an Bedeutung verloren. Die Relevanz dieser Forschung war nie sehr stark, heute ist sie aber noch geringer.
Zu b) Die Gründe liegen in (i) der betrieblichen Organisation von Arbeit, (ii) in gesellschaftspolitischen Veränderungen, (iii) in der Wissenschaft selbst. Diese Punkte hängen teilweise zusammen.
(i) Die „Humanisierung der Arbeitswelt“ – diese setze ich hier mit AO gleich – war zu erheblichen Teilen auch kapitalverwertungsgetrieben. Hierzu boten sich aber zunehmen kostengünstigere Alternativen. Outsourcing/Offshoring von Arbeit, insb. von Einfacharbeit, wird heute stärker als in den 1970-er und 80-er Jahren als Substitut technisch-ergonomischer Rationalisierung (und „Humanisierung“) genutzt. Diese Rationalisierung war auch ein Motiv der Unternehmen, an Projekten der Humanisierung teilzunehmen.
Darüber hinaus hat man m.E. in den Betrieben den abnehmenden Grenznutzen einer technisch-ergonomischen Rationalisierung vor allem bei den qualifizierteren Tätigkeiten gesehen und ist zur sozialsystemischen Rationalisierung übergegangen, wozu die Arbeitswissenschaft, jedenfalls deren eher ingenieurwissenschaftlicher Zweig, weniger sagen konnte als etwa die Soziologie und Psychologie.
(ii) Gesellschaftspoltisch endete die „sozialdemokratische Ära“, die Gewerkschaften verloren an Einfluss – der gesellschaftliche Einfluss von Befürwortern einer AO nahm also ab. Hinzu kommt: Es breitete sich zunehmend ein Glaube an die positiven Kräfte des Marktes aus, teilweise auch in einflussreichen Kreisen der Sozialdemokratie. Man nahm – und nimmt – an, dass „der Wettbewerb“ zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt. Interventionen in die Marktkräfte – darunter würden auch Programme der Humanisierung der Arbeit fallen – werden seit Mitte der 80-er Jahre vermehrt als „systemfremd“ angesehen. HdA-Programme wurden auch aus diesem Grund weniger finanziell gefördert. Die Unternehmen reagierten hierauf rasch, die Motivation, HdA-Maßnahmen zu implementieren, sank, denn viele HdA-Aktivitäten der Unternehmen in den 70-er und 80-er Jahren waren überwiegend Aktivitäten zur „Mitnahme“ von Fördergeldern. (Dies gilt vermutlich ähnlich für viele wissenschaftliche Forschungsprojekte.)
(iii) Ein dritter Grund für die abnehmende Bedeutung von AO liegt in der Sozialstruktur der Wissenschaft. Der finanzielle Druck hat die Konkurrenz erhöht, die Kohorte aus den 70-er/80-er Jahren, die zum Teil (in der BWL zu einem sehr geringem Teil) überzeugt „arbeitsorientiert“ war, scheidet nach und nach aus dem System aus. Die Stellen werden nicht oder mit anderer Widmung besetzt. Auch sind Wissenschaftler mit entsprechender Orientierung seltener geworden – was mit gesellschaftlich-normativen Veränderungen und der politischen Sozialisation zu tun hat.
Kurz gesagt wirken materielle, politisch-normative und wissenschaftsstrukturelle Gründe zusammen und führen zu einer geringeren Bedeutung der AO. Dies gilt für die BWL, zum Teil auch für andere Disziplinen. Personell war die AO in der BWL sowieso sehr schwach vertreten. Die meisten Arbeitswissenschaftler in der BWL (oder BWLer mit arbeitswissenschaftlicher Orientierung) waren keineswegs arbeitsorientiert im Sinne von arbeitnehmerorientiert; die Kapitalorientierung dominierte immer schon.“ (erschienen in geringfügig anderer Form als: Nienhüser, Werner (2014): Stellungnahme zur „Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften“. In: Stephan Laske und Manfred Schweres (Hg.): Arbeitsorientierung in den Wirtschaftswissenschaften. Vielfalt als Krisenindikator oder als Potenzial? Mering: Hampp, S. 121–122).