Konstitutionelle Ökonomik – Ablehnung der Neoklassik in theoretischer Hinsicht, Lob des Marktes in normativer Hinsicht

In der Lehrveranstaltung „Märkte und Unternehmen – Eine Einführung“ (die ich gemeinsam mit Prof. Ute Schmiel durchführe) behandeln wir im Abschnitt „Markets-as-institutional-arrangements-approach in Abgrenzung zu teleologischen Markttheorien“ den Ansatz der Konstitutionellen Ökonomik. Wir legen dabei zwei Aufsätze von Viktor J. Vanberg und James M. Buchanan zugrunde.

Ich finde es immer motivierend und ermöglicht mir einen leichteren Zugang zu Texten, wenn ich Autoren oder Autorinnen selbst sprechen höre und sehe. Zwei Youtube-Videos mit Buchanan und Vanberg geben uns hier diese Möglichkeit, auf die ich aufmerksam machen möchte. Zugleich will ich kurz darauf hinweisen, wie sich die Konstitutionelle Ökonomik in ihren kognitiven (nicht-wertenden, explikativen) Aussagen grundsätzlich von den Aussagen der Neoklassik unterscheidet, zugleich aber der Neoklassik ähnelt, weil sie die Koordination durch den Markt ebenso positiv bewertet.

Interview mit James M. Buchanan (hochgeladen 2016)

Viktor J. Vanberg: Was ist ein Markt? (Video hochgeladen 2020)

Einerseits unterscheidet sich der Theoriekern der Konstitutionellen Ökonomik grundsätzlich von dem der Neoklassik. Aufgrund ihrer stärker realwissenschaftlichen, die Theoriefigur des homo oeconomicus verwerfenden Theorieannahmen kommen Buchanan/Vanberg (1991: 181) zu dem Schluss:

„The market economy, as an aggregation, neither maximizes nor minimizes anything. It simply allows participants to pursue that which they value…”.

Andererseits sehen die Vertreter der Konstitutionellen Ökonomik „den Markt“ ähnlich positiv wie die Neoklassiker – in beiden Richtungen gilt „der Markt“ von vornherein als bestes Koordinationsinstrument. In beiden Theorieschulen ist der Marktbegriff trotz unterschiedlicher theoretischer Hypothesen normativ positiv aufgeladen, wenn auch unter Bezugnahme auf jeweils andere Werte. In der Neoklassik ist der Marktbegriff positiv aufgeladen, indem von vornherein unterstellt wird, marktliche Koordination führe zu einer optimalen Allokation. Diese Annahme lehnen Buchanan und Vanberg ab. Normativ geladen ist ihr Marktbegriff gleichwohl, damit sind sie der Neoklassik ähnlich. Sie unterstellen, dass Marktkoordination als Prozess Freiheit bedeutet bzw. zu Freiheit führt – Freiheit in dem Sinne, der im obigen Zitat zum Ausdruck kommt: Der Markt (verstanden als Regelwerk, siehe dazu auch das Video von Vanberg) erlaube es den Teilnehmern, ihre eigenen Interessen zu verfolgen.

Mir stellt sich u.a. die Frage, warum der Wert der Freiheit in den Vordergrund gerückt wird, warum andere Werte in den Hintergrund treten oder ignoriert werden und inwieweit Widersprüche mit anderen Werten, sofern man sie überhaupt für wichtig hält, gehandhabt werden. Vereinfacht gesagt: Wenn wir annehmen, dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (oder Solidarität) nach wie vor wichtige Werte sind, warum spielen Gleichheit und Solidarität zumindest in den beiden Aufsätzen keine Rolle? Ich gebe zu, dass hier eine Ablehnung der Position der Autoren vorschnell sein könnte, denn ich beziehe mich hier nur auf einen sehr kleinen Teil der Publikationen der beiden Autoren.

Meine Skepsis bezogen vor allem auf die politische Nutzung des Theoriegebäudes der Konstitutionellen Ökonomik insbesondere durch Buchanan hat sich allerdings nochmals verstärkt, nachdem ich das Buch von Nancy MacLean (2017) gelesen habe. Ich will hierauf nicht weiter eingehen und begnüge mich hier mit einem Verweis auf ein Video, in dem MacLean erläutert, was sie dazu bewegt hat, das Buch zu schreiben.

The Inspiration Behind ‚Democracy in Chains‘ (Video mit Nancy MacLean, hochgeladen 2017)

Literatur

  • Buchanan, James M.; Vanberg, Viktor J. (1991): The market as a creative process. In: Economics and Philosophy 7, S. 167–186.
  • MacLean, Nancy (2017): Democracy in chains. The deep history of the radical right’s stealth plan for America. New York, New York: Viking.
  • Vanberg, Viktor J. (2005): Market and state. The perspective of constitutional political economy. In: Journal of institutional economics 1 (1), S. 23–49.