„Die Beschäftigten wollen Demokratie im Betrieb“ – Interview in „Die Mitbestimmung“

Auszüge aus dem Interview, mehr dazu hier, hier kann man das gesamte Heft der „Mitbestimmung“ als PDF downloaden:

 

„“Die Beschäftigten wollen Demokratie im Betrieb“

Werner Nienhüser, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, über Ergebnisse seiner Studie und die große Chance für eine „Offensive Mitbestimmung“. Das Gespräch führten Guttram Doelfs und Margarete Hasel.

Mitbestimmung klingt als Wort nicht sexy – und kommt phonetisch ziemlich behäbig daher. Umso erstaunlicher sind die durchweg positiven Ergebnisse Ihrer Untersuchung.

Ja, das stimmt. Wenn wir die Assoziationen und Bewertungen der Menschen zum Thema Mitbestimmung nehmen, halten 68 Prozent der Befragten diese für positiv. Bei manchen Fragen ist die Zustimmung sogar noch höher. Ein Ergebnis, das mich überrascht hat.

Spötter könnten sagen, angesichts des Auftraggebers Hans-Böckler-Stiftung überraschen die Ergebnisse nicht wirklich.

Nun, es ist eine Zufallsstichprobe. Die Ergebnisse sind daher völlig unabhängig von dem, der sie finanziert – und in dem Augenblick der Befragung auch unabhängig von dem, der sie managt, also von mir und meinen Kollegen. Die Zufallsstichprobe wurde für uns vom renommierten Meinungsforschungsinstitut Infratest erhoben. Durch die zufällige Ziehung der Befragten kann man sicherstellen, dass die Ergebnisse repräsentativ sind.

64 Prozent möchten einen gleichwertigen Einfluss der Arbeitnehmerseite im Unternehmen. Steigt unter den Beschäftigten der Wunsch, stärker als bisher an der Unternehmensentwicklung beteiligt zu werden? 

Eine Aussage über zeitliche Entwicklungen können wir auf der Basis der Erhebung nicht machen. Die Ergebnisse sagen nur aus, wie die Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage dachten. Meine persönliche Einschätzung ist aber, dass dieser Anteil vor 40 Jahren deutlich geringer war. Mich hat diese Zahl auch überrascht. Allerdings müsste man nun noch genauer fragen, was die Befragten da für konkrete Vorstellungen haben.

In Ihrer Befragung wurde deutlich, dass Glaubenssätze, wonach etwa dem Eigentümer das alleinige Entscheidungsrecht zusteht, auf erstaunlich wenig Zustimmung stoßen. 

Ja, das stimmt. Die Befragten sehen zwar mögliche Konflikte mit der Arbeitgeberseite, aber dass die Mitbestimmung zulasten des Unternehmens geht und diese etwa dafür verantwortlich ist, dass ein Unternehmen ins Ausland abwandert, sehen sie nicht. Die Einschätzung, dass Mitbestimmung keine wirtschaftlich negativen Auswirkungen auf das Unternehmen hat, stimmt übrigens mit neueren wissenschaftlichen Befunden überein.

Bei den Betriebsratswahlen im vergangenen Jahr lag die Wahlbeteiligung im Durchschnitt bei mehr als 80 Prozent. Davon können Politiker nur träumen. 

In der Tat. Dies deutet für mich ganz praktisch darauf hin, dass die Beschäftigten Demokratie im Betrieb wollen und sich beteiligen. Allerdings muss man deutlich sagen, dass wir hier nur über neun Prozent aller Betriebe sprechen. 91 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe haben keinen Betriebsrat. Wenn wir nun die positive Einstellung zur Mitbestimmung und zu Betriebsräten und zugleich die hohe Wahlbeteiligung sehen, dann stellt sich die Frage, woran es liegt, dass wir so wenig Betriebsräte haben. Vermutlich ist es die Abwehr vieler Geschäftsleitungen, die hierfür verantwortlich ist. Diese Schlussfolgerung legen auch jüngere Befunde aus dem WSI nahe.

STUDIE: Für eine „Offensive Mitbestimmung“ in den Betrieben braucht es solide Fakten als Grundlage. Was wissen die Beschäftigten in deutschen Unternehmen eigentlich über die Mitbestimmung? Welche Einstellungen und Meinungen verbinden sie mit diesem Thema, und wie lassen sich Unterschiede in den Einstellungen erklären? Antworten auf diese Fragen suchte eine Forschergruppe (Heiko Hoßfeld, Esther Glück, Lukas Göddel) unter Leitung von Werner Nienhüser von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie „Einstellungen zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung“ kam im Detail zu durchaus überraschenden Ergebnissen.

Für die Studie werteten die Wissenschaftler die Antworten von 3203 Personen aus, die Ende 2013 in einer Zufallsstichprobe von Infratest Dimap befragt worden sind. Zusätzlich wurden 38 Interviews mit jungen Menschen geführt. Für ein aussagekräftiges Meinungsbild – Antworten auf Fragen zu Einstellungen werden davon beeinflusst, was die Befragten als sozial erwünscht vermuten – ergänzten die Forscher direkte Fragen mit indirekten, assoziativen.

Deutlichen Nachholbedarf gibt es beim Wissen über die Mitbestimmung, fanden die Forscher heraus. Mehr als zwei Drittel der Befragten beziehen ihr Wissen aus den Medien. 42 Prozent geben an, in ihrem Betrieb selten etwas über Mitbestimmung oder den Betriebsrat erfahren zu haben. Auch bei den unter 30-Jährigen ist das Wissen gering. Dagegen sind die Einstellungen zur Mitbestimmung deutlich positiv. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) verbinden die Mitbestimmung mit positiven Assoziationen. Interessanterweise äußern sich selbst Freiberufler, Selbstständige und leitende Angestellte grundsätzlich positiv zur Mitbestimmung, wenn auch mit geringeren Werten. Ganz klar ist die Position der Befragten zum Einfluss der Beschäftigten auf die Lenkung des Unternehmens: 64 Prozent der Befragten wünschen einen gleichberechtigten Einfluss von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite.“