“Betriebsratswahlen gesetzlich vorschreiben. Ein Diskussionsvorschlag zur Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung
Mehr Mitbestimmung für Betriebsräte – diese Forderung war im letzten Wahlprogramm der SPD zu lesen. Betriebsräte sollten u.a. beim Einsatz von Leiharbeit, befristeter Beschäftigung und Werkverträgen mehr mitbestimmen dürfen. Im Koalitionsvertrag ist dagegen von einer Ausweitung der Mitbestimmungsrechte nicht mehr die Rede. Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, dass selbst eine massive Stärkung der Rechte der Betriebsräte nur einen geringen Effekt hätte. Der Grund dafür ist einfach: Die meisten Arbeitnehmer haben keinen Betriebsrat. Lediglich 43% der in der Privatwirtschaft Beschäftigten in Westdeutschland werden über einen Betriebsrat vertreten, in Ostdeutschland sind es nur 36%. Rund 91 % der betriebsratsfähigen Betriebe (das heißt, mit mindestens 5 Beschäftigten) in der Privatwirtschaft haben keinen Betriebsrat. Dabei sind es vor allem die kleineren Betriebe, in denen kein Betriebsrat gewählt wird. Insgesamt ist also die Deckungsrate gering. Wenn man daher der Forderung des SPD-Wahlprogramms „Wir wollen mehr Demokratie im Betrieb“ (S. 21) ein Stück weit umsetzen will, dann ist die Frage zu stellen: Wie kann man erreichen, dass in mehr Betrieben Betriebsräte gewählt werden?
Ein Betriebsrat ist derzeit nicht verpflichtend – im Gegensatz zu anderen demokratischen Institutionen. Gegenwärtig ist ein Betriebsrat kein obligatorisches Element der Betriebsverfassung (ich verstehe den Begriff hier in einem weiten, nicht nur rechtlichen Sinne). Ein Betriebsrat ist erst dann zu wählen, wenn die Arbeitnehmer dies wollen und die Initiative ergreifen. Dies war historisch anders. Das Betriebsrätegesetz von 1920, der Vorläufer unseres derzeitigen Betriebsverfassungsgesetzes, sah den Betriebsrat als obligatorisches Organ an; eine Arbeitnehmerinitiative war nicht erforderlich: In allen Betrieben (ab 50 Beschäftigten) mussten Betriebsräte eingerichtet werden. Im Öffentlichen Dienst sind Personalräte heute – im Gegensatz zu Betriebsräten – verpflichtend einzurichten. In den Niederlanden und in Frankreich sind in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten Betriebsräte bzw. betriebsratsähnliche Organe zwingend vorgeschrieben. Auch für Organe der deutschen Unternehmensverfassung gilt – im Unterschied zu denen der Betriebsverfassung -, dass sie obligatorisch einzurichten sind: Die Mitbestimmung in Aufsichtsräten ist unabhängig von einer Arbeitnehmerinitiative gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Voraussetzungen (hinsichtlich der Größe und Rechtsform des Unternehmens) erfüllt sind. Diese verpflichtende Einrichtung ist plausibel: Schließlich machen wir die Einrichtung von Stadt- und Gemeinderäten oder von Landesparlamenten nicht davon abhängig, dass die Bürger der Kommune oder des Landes dafür die Initiative ergreifen – wir gehen vielmehr davon aus, dass solche Organe der Interessenrepräsentation selbstverständlicher Bestandteil eines demokratischen Sozialsystems sind.” (Den ausführlichen Text finden Sie hier: Nienhüser, W. (2014): Betriebsratswahlen gesetzlich vorschreiben. Ein Diskussionsvorschlag zur Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. In: Gegenblende. Das gewerkschaftliche Debattenmagazin. Nr. 25).