„Unternehmerische Fehlentscheidungen in Presseartikeln“

FehlentscheidungenWordleUnternehmerische Fehlentscheidungen in Presseartikeln

(Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der AutorInnen, der Beitrag erscheint mit weiteren Informationen auf der Seite des Instituts für Mittelstandsforschung (http://www.leuphana.de/institute/imf/alternativenavi/emil-archiv.html)

VON ALBERT MARTIN UND CLAUDIA LEHNIG

Welchen Erkenntnisgewinn erbringen die von Wirtschaftsjournalisten verfassten Berichte über das Verhalten der Führungspersonen in unseren Unternehmen? Immerhin versprechen die einschlägigen Journale und Zeitschriften „Wirtschaft aus erster Hand“ und „tiefgründige und überraschende Informationen“ sowie „kompetente, hintergründige und perspektivische Informationen“ usw. Damit wecken sie natürlich Erwartungen und der unvoreingenommene Leser verspricht sich entsprechend durch die Lektüre Einsichten darüber, was die Akteure der Wirtschaft bewegt, welchen Überlegungen sie folgen, was sie zu ihrem Handeln veranlasst und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Aber geht es dem Wirtschaftsjournalismus tatsächlich um diesen Anspruch und werden die damit verknüpften Ansprüche auch eingelöst, d.h. werden überhaupt Erklärungsangebote gemacht und wenn, wie tiefgreifend sind die von den Reportern gelieferten Erklärungsmuster? Das sind weitläufige Fragen, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Der vorliegende kleine Beitrag beschränkt sich auf einige Beobachtungen zur Berichterstattung in den Medien über Fehlentscheidungen in Unternehmen und er beschränkt sich außerdem auf die Betrachtung von gut zwei Dutzend Artikeln aus dem „manager magazin“ der Jahre 1997 bis 1999, 2005 bis 2007 und der beiden letzten Jahre. Unser Interesse gilt dabei primär den Erklärungsmustern, die von den Autoren für das Zustandekommen der Fehlentscheidungen angeboten werden.

„Fehlentscheidungen“ sind ein reizvolles Untersuchungsobjekt, weil sie einen Eindruck von den Schwierigkeiten vermitteln können, die sich mit weitreichenden Entscheidungen verknüpfen. Sie sind auch deswegen interessant, weil Unternehmen ja in gewisser Weise darauf programmiert sind, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen (also Vermögenswerte zu schaffen und nicht etwa zu vernichten) und damit größere Fehlentscheidungen tunlichst vermeiden sollten.

Bei der Lektüre fällt zunächst auf, dass Entscheidungen im engeren Sinne eher selten näher betrachtet werden, die Presseartikel beschreiben wesentlich häufiger auffällige Tatbestände oder bemerkenswerte Entwicklungen in der Unternehmenssituation als die diesen Tatbeständen und Entwicklungen zugrundeliegenden Entscheidungen. Bezogen auf unser Thema findet man einschlägige Ausführungen daher häufig eher unter dem Stichwort Missmanagement als unter dem Stichwort Fehlentscheidungen. In gewisser Hinsicht ist das nicht sonderlich erstaunlich. Schließlich ist es leichter an Informationen über die allgemeine Lage eines Unternehmens zu gelangen als an Informationen über die Hintergründe und den Verlauf konkreter Entscheidungen. Außerdem manifestieren sich viele Entscheidungen nicht in singulären Akten, sondern in der Entwicklung und Übernahme von Handlungsprämissen, die nicht mehr in Frage gestellt werden und durch das fort-laufende Handeln immer wieder wie selbstverständlich bestätigt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Weigerung nicht weniger „Patriarchen“, die Führung des von ihnen aufgebauten Unternehmens rechtzeitig und in angemessener Weise der jüngeren Generation zu überlassen. Verschiedentlich gewinnen aber auch bestimmte Entscheidungen im unübersichtlichen Strom der Ereignisse und des Handelns eine deutliche Kontur und können zu Recht als Kristallisations- oder Ausgangspunkt folgenreicher Entwicklungen gelten. Typische Beispiele hierfür liefern nicht selten Unternehmensfusionen oder auch umfängliche Investitionen.

Inhaltlich umfassen die von uns betrachteten 25 Fällen ein breites Themenspektrum: es geht dabei um die Festlegung von Unternehmensstrategien, um Provisionsvereinbarungen, die Preispolitik, Festlegungen in der Produktentwicklung, unzulängliche Kontrollen, Unternehmensveräußerungen, Fehlakquisitionen, die Standortwahl, die mangelhafte Erfüllung von Vertragspflichten, das Unterlassen von Innovationen, um unzureichende Rückstellungen, um Überschuldung und auch um wirtschaftskriminelle Handlungen. Welche Erklärungen liefern die Autoren nun aber für die von ihnen beschriebenen Fehlentscheidungen? Selbstverständlich kann von einem Verfasser eines Artikels in einer Publikumszeitschrift nicht erwartet werden, dass er ausführliche, wissenschaftlich fundierte und methodisch sauber belegte Erklärungen liefert. Doch auch wenn man die Erwartungen auf ein realistisches Niveau zurückführt, fällt das Ergebnis sehr enttäuschend aus. So rekurrieren die angebotenen Erklärungen fast durchweg nur auf personenbezogene Ursachen. Verschiedentlich werden auch Auseinandersetzungen in der Unternehmensleitung geschildert und für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht, insofern kommen auch soziale Aspekte bei der Erklärung der Fehlentscheidungen zum Zuge, die Konfliktursachen werden dann allerdings in aller Regel auch wieder nur auf Charakteristika der beteiligten Akteure zurückgeführt. Strukturelle Ursachen werden sehr selten thematisiert und begnügen sich (bis auf wenige Ausnahmen) mit wohlfeilen Hinweisen auf die schädlichen Folgen der Zentralisierung und Bürokratisierung.

Die angebotenen Erklärungen fallen außerdem sehr schlicht aus und sie begnügen sich mit sehr wenigen (meist nur ein oder zwei) Begründungen. Und auch der Gehalt der zur Erklärung herangezogenen personenbezogenen Attribute ist sehr gering. Die Verursacher der fehlerhaften Entscheidungen sind danach je nach dem aufbrausend, machtbesessen, machtverliebt, machtliebend, ohne Strategie und Konzept, skrupellos, inkonsequent, egoistisch, harmoniebedürftig, starrsinnig, altmodisch, eifersüchtig, innovationsfeindlich, egozentrisch, unbelehrbar, rechthaberisch, autoritär, verhandlungsunsicher, ohne Durchsetzungsvermögen, hilflos, nicht entscheidungsfreudig, (zu) vertrauensvoll, verantwortungslos, großspurig, nur auf die eigene Karriere bedacht, selbstüberschätzend, beratungsresistent, altersstarrsinnig, gutgläubig, korrupt, geldgierig, gesetzeswidrig, schweigsam, (zu) optimistisch, kurzsichtig, naiv, unqualifiziert, verantwortungsscheu, unsensibel, konfliktscheu, kraftlos, gutmütig, sie agieren unglücklich, es treibt sie schiere Expansionslust, sie ziehen die falschen Konsequenzen, sie treiben Lobbyismus für Schlüsselkunden, sind nicht professionell, besitzen zu viel persönliche Nähe zu den Kunden, sie sind Blender und Bremser, es fehlt ihnen der ManagerInstinkt und sie betreiben Günstlingswirtschaft.

Ganz häufig werden also Charaktermängel (machtbesessen, rechthaberisch, skrupellos, korrupt usw.) für Fehlentscheidungen verantwortlich gemacht. Angeführt werden außerdem Fähigkeitsdefizite (fehlende unternehmerische Weitsicht, fehlendes Durchsetzungsvermögen usw.), seltener dagegen Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften (Risikoscheu, Optimismus, Gutmütigkeit usw.). Nicht selten kommt es zu einer Häufung negativer Auszeichnungen, etwa wenn von einer „wüsten Gemengelage von Ehrgeiz, Egotrips und Eitelkeiten“ die Rede ist. Interessant ist außerdem, dass Eigenschaften, die „eigentlich“ einen positiven Bedeutungsgehalt haben, nicht selten ins Negative gewendet werden, dann ist jemand leicht zu vertrauensvoll oder zu optimistisch ans Werk gegangen ist. Wenn man diese Erklärungen betrachtet kann man den Eindruck gewinnen, dass die wesentlichen Fehlentscheidungen in der Unternehmenswelt personeller Natur sind, also im Wesentlichen aus der Fehlbesetzung von Managerpositionen resultieren – eine Sichtweise, die der Realität denn doch nicht gerecht wird.

Auch was die Logik der Erklärung angeht, sind die Ausführungen häufig nicht sehr überzeugend. Wenn ein Produkt kein Profil hat und die Erklärung in der Konzeptlosigkeit der Führung gesucht wird, wenn Liquiditätsprobleme auf eine schlechte Finanzpolitik zurückgeführt werden, wenn man die fehlgeleitete Expansionsstrategie mit der Expansionslust des Geschäftsführers erklärt oder wenn für das Scheitern einer Strategie schlicht fehlende Fähigkeiten verantwortlich gemacht werden, dann mag das alles plausibel sein. Überzeugende Erklärungen ergeben sich daraus aber nicht – diese Art der Argumentation erinnert vielmehr fatal an die Szene im Lustspiel „Der eingebildete Kranke“ von Molière, in der der Doktor dem Prüfling die Frage stellt, warum Opium denn einschläfernd wirkt, worauf dieser die verblüffende (von der Fakultät freudig beklatschte) Antwort findet: „Weil Opium die Kraft besitzt, deren Natur es ist, einschläfernd zu wirken (quia est in eo virtus dormitiva, cujus est natura sensus soporare.)“.

Wir wollen nun aber keinesfalls behaupten, dass in den von uns betrachteten Artikeln keinerlei wertvollen Informationen stecken. Dennoch drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass in den Ausführungen nicht so sehr die Wirklichkeit als vielmehr die Sicht der Autoren auf die Wirklichkeit zum Ausdruck kommt. Die Problematik steckt eben in der Deutung. Am häufigsten werden in den von uns betrachteten Artikeln die Ursachen von Fehlentscheidungen darin gesehen, dass Probleme verschlafen oder ignoriert werden. Angeführt werden aber auch Verdrängungsleistungen der Manager oder das Verschieben von Problemen und Verbiegungen der Wahrnehmung. Letzteres geschieht allerdings weniger häufig:
Häufigkeit der Nennung von Reaktionen des Managements auf die Probleme, die schließlich zu Fehlentscheidungen Anlass geben (weil öfters mehr als eine Reaktionsform genannt wird, addieren sich die Fallzahlen zu einer Summe > 25):

18  Ausweichen (fliehen, ignorieren, bezweifeln)
11  Abwehren (verdrängen, ablenken, verschieben)
 8  Verändern (umbewerten, umdefinieren)
 3  Lösen (einlösen, anpassen der Ansprüche)

Möglicherweise ist dies ein realistisches Bild, möglicherweise ist es aber auch nur ein Ausdruck der Schwierigkeiten, an valide Informationen über das Entscheidungsgeschehen zu gelangen, es ist schließlich einfacher zu beobachten, ob ein Problem lange ignoriert wird, als zu beurteilen, ob und in welcher Weise Probleme definiert und unter Umständen neu definiert werden.

Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass in der Berichterstattung die logische Folge Problementstehung – Problemwahrnehmung – Entscheidung oft nicht eingehalten wird. Das ist aber nur bedingt als Vorwurf zu verstehen, denn tatsächlich ist es nicht immer leicht festzustellen, welche Problemlage einer konkreten Entscheidung zugrunde liegt und außerdem ist es häufig in der Tat so, dass insbesondere die Probleme Aufmerksamkeit verdienen, die oft erst aus einer (wie auch immer veranlassten) Entscheidung entstehen und es ist auch legitim, sich in der Analyse auf die Reaktionen zu konzentrieren, die als Antworten auf diese Folgeentwicklungen gelten können.

Methodisch gesehen handelt es sich bei den von uns betrachteten Zeitschriftenartikeln um Fallbeschreibungen. „Induktiv“ geben Einzelfallbeschreibungen wenig her, das heißt: weil in jedem einzelnen Fall immer ganz spezifische Bedingungen vorliegen, lässt sich hieraus auch nichts verallgemeinern. Sinnvollerweise werden in der Literatur nun aber zwei Formen der Verallgemeinerung unterschieden. Bei der statistischen oder populationsbezogenen Verallgemeinerung geht es darum, vom Vorliegen bestimmter Merkmale in einer Stichprobe auf das Vorliegen dieser Merkmale auch in der Grundgesamtheit zu schließen. Dieses Ziel kommt, wie gesagt, im vorliegenden Fall nicht zum Zuge. Bei der analytischen Verallgemeinerung dient der Einzelfall dagegen als Ausgangspunkt für die Formulierung allgemeingültiger theoretischer Aussagen. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, muss man aber bereits seine Analyse theoretisch fundieren, eine Forderung, die man journalistischen Arbeiten gegenüber aber wohl kaum erhebt. Für diese stehen in aller Regel auch andere Ziele im Vordergrund. Sie wollen über bemerkenswerte Vorgänge berichten und damit einen Eindruck davon vermitteln, mit welchen Problemen Unternehmen kämpfen und welche Praktiken dabei zum Zuge kommen. Auch angesichts der oft doch nur lückenhaften Informationslage stellt sich den Autoren der einschlägigen Firmenberichte die Frage, ob sie sich auf tiefergehende Deutungen und Erklärungen überhaupt einlassen können – und wollen. Der von uns eingangs probehalber formulierte Anspruch an die Erklärungsleistung wirtschaftsjournalistischer Beiträge erscheint damit einigermaßen unrealistisch. Wie problematisch es ist, aus Fallbeschreibungen weitreichende Schlüsse zu ziehen, zeigt sich zum Beispiel in den vielen mit Belehrungseifer aufgeladenen Erfolgsschilderungen vermeintlicher Musterunternehmen. So wurde beispielsweise die Firma Cisco über den grünen Klee (auch von bekannten Stanford-Professoren) gelobt und als Vorbild im Hinblick auf Kultur, Führung und Kundenorientierung hingestellt. Als der wirtschaftliche Erfolg (vorübergehend) ausblieb, wurden eben dieselben Punkte plötzlich gänzlich negativ gesehen und zwar nicht etwa, weil sich die Firma geändert hätte, die Fakten wurden nur unterschiedlich interpretiert: „Niemand behauptet, dass sich Cisco zwischen 2000 und 2001 verändert hätte. Vielmehr wird das Unternehmen nun, im Rückblick, durch eine andere Brille wahrgenommen – die Brille der gesunkenen Performance.“ (Phil Rosenzweig: Der Halo-Effekt. Offenbach, 2008, S. 51).

Aber schließlich sollte nicht vergessen werden, dass es in den Publikumszeitschriften nicht nur um Aufklärung, sondern oft auch einfach um Unterhaltung geht. Und natürlich auch um die Verbreitung der Weltsicht der Autoren bzw. Herausgeber. Doch das ist ein weiteres, sehr weitläufiges Thema.