Managementsprech: „Wir müssen das Thema lösen“. Oder: Wie Probleme verschwinden. (Forschungsskizze #2)

Siehe auch: Forschungsskizze #1 | Wiederholt habe ich in den letzten Monaten Menschen den Satz sagen hören: „Wir müssen das Thema lösen.“ Wie kann man ein Thema lösen? Man kann sich einem Thema widmen, sich mit einem Thema auseinandersetzen, ein Thema mag man besprechen oder behandeln. Aber lösen kann man es wohl kaum. Nun gut, wir können das natürlich so ausdrücken. Und je mehr Menschen eine solche Formulierung wie „das Thema lösen“ übernehmen, desto normaler erscheint uns diese Formulierung vermutlich.

Wird der Begriff „Problem“ durch den des „Themas“ ersetzt? Verbreitet sich die „Thema lösen“-Formulierung?  Und warum könnte das so sein? Diese Wortersetzungspraktik habe ich bisher nur im Management- bzw. Unternehmenskontext beobachtet. Das erste Mal fiel mir der Wortgebrauch in Aufsichtsratssitzungen auf. Ein neuer, aus einem Großunternehmen kommender CEO (auch dieser Begriff wurde durch diesen Geschäftsführer eingeführt) verwendete die mir bis dahin nicht bekannte „Thema lösen“-Formulierung. Rasch schlossen sich vor allem die jüngeren Mitglieder der zweiten Managementebene diesem Sprachgebrauch an. Zuletzt hörte ich die Wortersetzungspraktik bei einer Veranstaltung mit Betriebsräten eines Großunternehmens. Nicht nur der ebenfalls teilnehmende Personalverantwortliche sprach von „Thema lösen“; auch einige Betriebsräte hatten den Sprachgebrauch bereits übernommen. Die Rede war vom „Thema Gehalt“, „Thema Arbeitsbelastung“, „Thema Digitalisierung“, mehrfach in Verbindung mit „lösen“. Aus dem Zusammenhang war eindeutig erkennbar, dass die Sprecher*innen eigentlich Probleme ansprachen, aber den Begriff „Problem“ nicht benutzten.

Nun weiß man nicht erst seit der Popularisierung des Framing-Ansatzes (Kahneman und Tversky 1986) vor unter anderem durch Wehling (2016) und Lakoff (u.a. Lakoff/Wehling 2008), dass Sprache das Denken beeinflusst. Unser Gehirn dürfte mit dem Begriff „Thema“ etwas anderes assoziieren als mit dem Begriff „Problem“. Vermutlich sind wir aufmerksamer, kritischer, aktivierter, wenn wir von Problem sprechen und sprechen hören, während etwas, das als Thema benannt wird, als etwas wahrgenommen wird, was man sich anhören kann, zu dem man eine Meinung entwickelt, aber zu dem man nicht unbedingt Stellung beziehen oder einen Standpunkt einnehmen muss. Schon gar nicht ist Handeln notwendig.

Forschungsskizze #2 (siehe auch Forschungsskizze #1)

Nun habe ich nur einzelne, unsystematische Beobachtungen anstellen können. Daher wäre es interessant, folgende Fragen zu beantworten (ja, ich sehe die Nichtbeantwortung dieser Fragen als Problem):

Verbreitet sich tatsächlich die von mir vermutete Begriffsverdrängung? Findet man sie häufiger im Kontext von Unternehmen und ihrer Kommunikation als im allgemeinen Sprachgebrauch? Man könnte z.B. Geschäftsberichte oder andere Medien der Unternehmenskommunikation darauf hin analysieren. Wenn diese Sprachpolitik sich tatsächlich verbreitet, müsste man auch feststellen, dass nicht nur der Begriff „Problem“, sondern auch solche Wörter wie „Kritik“, „Frage“ (und ihre entsprechenden Ableitungen) weniger in der Unternehmens- und Managementkommunikation verwendet und ggf. durch andere ersetzt werden. Weiterhin könnte man untersuchen, ob Unternehmen in Krisensituationen, wenn sie selbst in der Kritik stehen, häufiger solche Wortersetzungspraktiken benutzen. Und nicht zuletzt sollte man untersuchen, ob es sich um gezielte Sprachpolitik oder um eine unbeabsichtigte Sprachpraktik handelt – was nicht einfach sein dürfte.

Literatur

  • Kahneman, D./Tversky, A. (1986): Rational Choice and the Framing of Decision. In: The Journal of Business, 59, Heft 4, S. 251–278.
  • Lakoff, George/Wehling, Elisabeth (2008): Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Carl-Auer-Systeme-Verl.: Heidelberg.
  • Orwell, George (2001): Politics and the English Language. In: Davison, Peter (Hrsg.): Orwell and Politics. Animal Farm in the Context of Essays, Reviews and Letters. Selected from The Complete Works of George Orwell. Penguin Books: London, S. 397–411. (Das Original ist von 1946, die Essays kann man hier finden: http://gutenberg.net.au/ebooks03/0300011h.html#part42. Das Zitat stammt aus der oben genannten Quelle und steht auf Seite 410).
  • Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Herbert von Halem Verlag: Köln.