Aesthetic Labor – siehst Du nicht gut aus, siehst Du alt aus – ein Maßanzug hilft aber…

2059658642 2bb2e827d7 o

Ein Wirtschaftsprofessor der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder holt einen thailändischen Schneider nach Deutschland. Er will, dass seine Studenten gut aussehen – dafür benötigen sie Maßanzüge, und die sind nun mal mit thailändischen Löhnen billiger zu haben.

„Der Thailänder Jim reist wie ein Hofschneider an deutsche Unis, um Aufträge für Maßanzüge einzusammeln. Ein gut sitzender Anzug steigert schließlich das Selbstbewusstsein. Ein Professor holte ihn nach Franfurt/Oder – und die Studenten starten nun mit Maßanzügen ins erste Praktikum.“ (Spiegel Online vom 4.5.2011)

Da bekommt der Student – Studentinnen werden in dem Artikel nicht genannt – nicht nur für 265 Euro einen günstigen Anzug, sondern gleich noch eine Lektion über die Vorzüge internationaler Arbeitsteilung: „Deutschland kann Autos und Maschinen – Thailand kann Anzüge“. So zitiert der SPIEGEL Prof. Georg Stadtmann.

Studierende erhalten aber mit dem billigen Maßanzug nicht nur eine körperlich gefühlte Verstärkung einer volkswirtschaftlichen Mainstream-Lehrmeinung. Ihnen wird auch klargemacht, dass Aussehen wichtig ist und wie sie auszusehen haben; nochmal Professor Stadtmann: „Ein Anzug ist nicht nur Berufskleidung, sondern auch eine zweite Haut und ein Statussymbol. Da muss alles gut sitzen. Dann stimmt auch das Selbstbewusstsein, beispielsweise bei der Bewerbung.“

Diese Einschätzung mag empirisch richtig sein. Wie man aber die zunehmende Bedeutung von Aussehen bewertet, ist eine andere Sache. Kritische Wissenschaftler (eine der ersten Publikationen stammt von Warhurst, C., Nickson, D., Witz, A., & Cullen, A. M. (2000). Aesthetic Labour in Interactive Service Work: Some Case Study Evidence from the ‚New‘ Glasgow. The Service Industries Journal, 20(3), 1–18) haben bereits vor einigen Jahren mit dem Konzept von „aesthetic labour“ darauf hingewiesen, dass das Aussehen der Beschäftigten immer mehr der Verwertung unterworfen wird. Die Bedeutung des Aussehens, aber auch wie man spricht, wie man auftritt, gilt nicht nur für Absolventen von privaten „Wirtschaftsuniversitäten“ (um die mehrdeutige Bezeichnung des SPIEGEL zu verwenden), sondern auch bei einfachen Dienstleistungstätigkeiten wie etwa Verkaufstätigkeiten im Einzelhandel (mehr über das Konzept „aesthetic labour“ kann man in Kurzform hier nachlesen: www.workandsociety.com/downloads/bodywork/aeslab.pdf).

Siegfried Kracauer schrieb bereits 1929 über die kapitalistische Mitverwertung des Körpers bzw. seiner Ästhetik; er bezog sich auf die Angestellten in Berlin:

„Die Behauptung ist kaum zu gewagt, daß sich in Berlin ein Angestelltentypus herausbildet, der sich in der Richtung auf die erstrebte Hautfarbe hin uniformiert. Sprache, Kleider, Gebärden und Physiognomien gleichen sich an, und das Ergebnis des Prozesses ist ebenjenes angenehme Aussehen, das mit Hilfe von Photographien umfassend wiedergegeben werden kann. Eine Zuchtwahl, die sich unter dem Druck der sozialen Verhältnisse vollzieht und zwangsläufig durch die Weckung entsprechender Konsumentenbedürfnisse von der Wirtschaft unterstützt wird.
Die Angestellten müssen mittun, ob sie wollen oder nicht. Der Andrang zu den vielen Schönheitssalons entspringt auch Existenzsorgen, der Gebrauch kosmetischer Erzeugnisse ist nicht immer ein Luxus. Aus Angst, als Altware aus dem Gebrauch zurückgezogen zu werden, färben sich Damen und Herren die Haare, und Vierziger treiben Sport, um sich schlank zu erhalten. „Wie werde ich schön?“ lautet der Titel eines jüngst auf den Markt geworfenen Heftes, dem die Zeitungsreklame nachsagt, daß es Mittel zeige, „durch die man für den Augenblick und für die Dauer jung und schön aussieht“. Mode und Wirtschaft arbeiten sich in die Hand.“ (Kracauer, S. 1974: Die Angestellten. Frankfurt/M., S. 25; erstmals 1929 in der „Frankfurter Zeitung“ veröffentlicht).

Aussehen und – weitergehend – Habitus sind offenbar mindestens ebenso wichtig wie fachliche Qualifikation. Für die im SPIEGEL-Artikel genannten Studierenden ist zu vermuten, dass deren Körper der Verwertung nicht nur passiv unterworfen werden, sie drängen selbst, bewusslos, auf Verwertung.

(Bild siehe http://www.flickr.com/photos/houseofduke/2059658642/sizes/o/) Danke.