In der Regel verbinden nicht alle Menschen mit ein und demselben Begriff den selben Inhalt. Auch aus diesem Grunde lässt sich über Begriffe streiten.
1. Worum geht es bei Auseinandersetzungen um Begriffe?
In Auseinandersetzungen um Begriffe spielen vor allem drei Punkte eine Rolle.
(a) Man streitet um den „wahren“ Inhalt eines Begriffes. Oft hört man, dass Begriff X doch „eigentlich“ das und das bezeichne, als wäre die Bedeutung eines Wortes ihm ein für alle Mal immanent, unveränderbar, und müsste nur aus ihm herausinterpretiert werden. Ein solcher Essenzialismus mag seltener geworden sein, man findet ihn gleichwohl in sehr vielen Begriffsfindungs- und -klärungsdiskussionen. Einer solchen Vorstellung ist meiner Ansicht nach entgegenzuhalten, dass Begriffsdefinitionen Festlegungen und eine Sache der Übereinkunft (wie auch immer diese zustande kommt) sind. Ob eine Begriffsfestlegung oder –definition sinnvoll ist, hängt entscheidend von dem theoretisch-konzeptionellen Kontext ab, in dem sie verortet ist.
(b) Begriffe lenken die Wahrnehmung. Die Begriffe konstituieren zwar nicht die Wirklichkeit, diese ist (zunächst) unabhängig von den Begriffen. Allerdings beeinflusst die Bezeichnung eines Sachverhaltes dessen Wahrnehmung. Daher können Begriffe, genauer: deren Verwendung, die Realität verändern. Und darin liegt ein Konfliktpotenzial. Nehmen wir als Beispiel den Begriff „Personalpolitik“. Er rückt in der Wahrnehmung das Politische, die Interessenkonflikte, in den Vordergrund, anderes in den Hintergrund. Der Begriff mag direkt keine Wertung enthalten, denn man kann das Politische des Phänomens, das wir mit dem Begriff bezeichnen, gut oder schlecht finden. Der Begriff lässt dies offen. Allerdings rückt er in der Wahrnehmung bestimmte Aspekte in den Vordergrund und andere in den Hintergrund. Und vermutlich möchte nicht jeder das Politische hervorgehoben wissen. Grundsätzlich gilt die Wahrnehmungslenkung auch für andere Begriffe. Man muss also fragen: Was rücken die Begriffe „Human Resource Management“ oder „Personalwesen“ in den Vordergrund, was in den Hintergrund? Und wollen wir das? Ich will die Frage hier nicht weiter diskutieren (vgl. dazu auch Wächter 1992; 2016; Dank an J.B. für den Hinweis), sondern auf das Problem aufmerksam machen.
(c) Begriffe veralten, sie werden nach einer gewissen Zeit als unmodern wahrgenommen. Vermutlich werden viele Menschen mehr oder weniger bewusst annehmen, dass sie die Verwendung eines unmodernen Begriffes auch als unmodern erscheinen lässt. „Personalwesen“ könnte so ein Begriff sein. Vielleicht ist „Human Resource Management“ moderner – moderner in dem Sinne, dass er von mehr Menschen als der Begriff „Personalwesen“ verwendet wird? – Hinzu kommt, dass es die Kommunikation erleichtert, wenn man sich in der Begriffsverwendung einer Mehrheit anpasst. Nehmen wir an, ich würde auf die Frage nach meinem Fachgebiet antworten, dies sei „Personalwissenschaft“. Diese Begriffsverwendung würde die Kommunikation mit vielen Praktikern vermutlich leicht stören (was nicht immer nur schlecht sein muss), während die Antwort, dass mein Fachgebiet „Human Resource Management“ sei, kaum Kommunikationsprobleme aufwerfen dürfte.
2. Ein wenig Empirie
Sehen wir uns ein kleines Stück Empirie über die Häufigkeit der Verwendung ausgewählter Begriffe an. Ich habe mit der Suchmachine Scholar Google (www.scholar.google.com) nach den folgenden Begriffen gesucht (die Abfragen erfolgten mehrmals im Juli 2017):
- Personalwesen,
- Personalmanagement,
- Personalpolitik,
- Personalwirtschaft,
- Human Resource Management,
- Personalwissenschaft und
- Arbeitskräftewirtschaft.
Dabei habe ich die Einstellung „ohne Patente“ und „Zitate“ verwendet. Notiert habe ich die Treffer in allen Sprachen sowie diejenigen nur in deutscher Sprache.
Treffer in absoluten Zahlen |
Treffer in relativen Zahlen (%) |
Relative Veränderungen |
|||||
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
|
Alle Sprachen | Nur deutsche Seiten | Nur deutsche Seiten bis einschl. 2006 – absolut | Nur deutsche Seiten 2007-2017 – absolut | Nur deutsche Seiten bis einschl. 2006 (%) | Nur deutsche Seiten 2007-2017 (%) | Relative Veränderung (Wert Spalte 6 / Wert Spalte 5) | |
Personalwesen |
15.500 |
15.000 |
6.910 |
7.940 |
16,3 |
14,2 |
0,87 |
Personalmanagement |
41.800 |
30.900 |
11.300 |
16.700 |
26,7 |
29,8 |
1,12 |
Personalpolitik |
29.400 |
26.800 |
12.800 |
14.900 |
30,3 |
26,6 |
0,88 |
Personalwirtschaft |
15.300 |
14.700 |
6.510 |
8.010 |
15,4 |
14,3 |
0,93 |
Human Resource Management |
783.000 |
13.100 |
4.640 |
8.230 |
11,0 |
14,7 |
1,34 |
Personalwissenschaft |
250 |
238 |
100 |
136 |
0,2 |
0,2 |
1,03 |
Arbeitskräftewirtschaft |
60 |
56 |
4 |
51 |
0,0 |
0,1 |
9,63 |
Summe |
100.794 |
42.264 |
55.967 |
100,0 |
100,0 |
1,00 |
|
* Die Summe der beiden letzten Spalten (3 und 4) stimmt nicht immer mit der Zahl in Spalte 2 überein. Das liegt daran, dass Scholar Google keine ganz genauen Trefferzahlen anzeigt, sondern immer den Hinweis ausgibt, die jeweilige Zahl sei „ungefähr“. |
Klar war, dass die Begriffe „Personalwissenschaft“ und „Arbeitskräftewirtschaft“ nur selten vorkommen. (Ich gehe im Folgenden überwiegend auf die Treffer in deutscher Sprache ein.) Meiner Kenntnis nach wurde der Begriff „Personalwissenschaft“ erstmals in einer Arbeit von Klaus Türk (1978) verwendet, später gelegentlich auch von anderen (u.a. von Matiaske/Nienhüser 2004). „Arbeitskräftewirtschaft“ wird u.a. von Wirth (2010) benutzt.
Die Bezeichnungen „Personalwesen“ und „Personalwirtschaft“ finden sich mit jeweils rund 15 Tsd. Treffern deutlich seltener als „Personalmanagement“ (31 Tsd.) und „Personalpolitik“ (27 Tsd.). Betrachtet man die Treffer in allen Sprachen, dann ist erwartbar, dass „Human Resource Management“ sehr viel häufiger vorkommen muss als die anderen, deutschsprachigen Begriffe. Überraschend ist (für mich), dass die Zahl der deutschsprachigen Treffer unter der der anderen Begriffe liegt (von „Personalwissenschaft“ und „Arbeitskräftewirtschaft“ einmal abgesehen). Setzen wir alle in dem jeweiligen Zeitraum verwendeten Begriff als 100 Prozent, dann macht der Begriff „Human Resource Management“ in der Zeit von 2007 bis heute knapp 15 % aus. „Personalmanagement“ und „Personalpolitik“ haben dagegen einen deutlich höheren Anteil von knapp 30 bzw. 27 %.
Sehen wir uns die Veränderungen über die Zeit (Zeitraum bis 2006 im Vergleich zum Zeitraum 2007 bis heute) an. Abgenommen hat die (relative) Häufigkeit der Verwendung der Begriffe „Personalwesen“, „Personalpolitik“ und „Personalwirtschaft“. Dazu gewonnen haben „Personalmanagement“ und „Human Resource Management“. Am stärksten ist die Zunahme beim letzten Begriff. (Bei den „Außenseiter“-Begriffen hat es ebenfalls Veränderungen gegeben, allerdings bei einer sehr viel niedrigeren absoluten Häufigkeit.)
3. Was folgt nun daraus für die Frage nach der „besten“ Bezeichnung?
Wie immer folgt aus empirischen Befunden normativ – nichts. Wir müssen schon wissen, was wir wollen oder zumindest hypothetische Ziele festlegen.
Wollen wir „modern“ sein, dann wäre ein Anschluss an die englischsprachig geführten Diskussion zumindest begrifflich leicht herzustellen, indem wir „Human Resource Management“ verwenden. Gleichwohl gelänge ein begrifflicher Anschluss nur an den Mainstream; selbst im Mainstream verwenden keineswegs alle WissenschaftlerInnen die Bezeichnung „Human Resource Management“ als alle Personalpraktiken oder –strategien umfassenden Begriff.
Wenn wir als „modern“ diejenigen Bezeichnungen ansehen, die die Mehrheit im deutschsprachigen Raum verwendet, dann müssten wir uns für die Begriffe „Personalmanagement“ oder „Personalpolitik“ entscheiden.
Wollten wir einen die Praxis gut beschreibenden Begriff verwenden, dann sollten wir uns für „Arbeitskräftewirtschaft“ entscheiden. „Arbeitskräfte“ bezeichnet alle Arbeitenden eines Betriebes oder Unternehmens, „Personal“ dagegen nur die arbeitsvertraglich gebundenen. Realistisch beschreibend ist der Begriff, betonen doch viele WissenschaftlerInnen in der Disziplin, dass sich die vertraglichen Bindungen auflösen, dass zunehmend Selbstständige und Freiwillige Arbeit leisten, die früher vom „Personal“ übernommen wurde. Der Begriff betont zudem das Ökonomische.
Oder doch besser „Personalpolitik“? Die Entscheidung darüber, wie wir den Gegenstand, den wir erforschen, bezeichnen wollen, ist jedenfalls eine politisch geladene.
Literatur
Matiaske, W. & Nienhüser, W. (2004). Sinnprovinzen in der Personalwissenschaft. Befunde einer empirischen Untersuchung. Zeitschrift für Personalforschung, 18 (2), 117–138.
Türk, K. (1978). Objektbereich und Problemfeld einer Personalwissenschaft. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 32, 218–219
Wächter, H. (1992). Vom Personalwesen zum Strategic Human Resource Management. Ein Zustandsbericht anhand der neueren Literatur. In W. H. Staehle & P. Conrad (Hrsg.), Managementforschung. Band 2 (Bd. 2, S. 313–340). Berlin, New York: Walter De Gruyter.
Wächter, H. (2016). Human Resource Management: A Critical View. In I. Artus, M. Behrens, B. Keller, W. Matiaske, W. Nienhüser, B. Rehder et al. (Eds.), Developments in German Industrial Relations (pp. 157–186). Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing.
Wirth, C. (2010). Reflexive Arbeitskräftewirtschaft. Strukturation, Projektnetzwerke und TV-Content-Produktion. Müchen, Mering: Rainer Hampp Verlag.
Vielen Dank für den instruktiven Beitrag und die empirische Spurensuche. Interessant, dass Personalpolitik doch so häufig vorkommt. Vielleicht wird mit dem Begriff doch nicht immer eine Konfliktperspektive eingenommen, sondern eher auf eine neutral verstandene ‚Steuerung‘ abgestellt?