Am 9.5.2011 wurden die Anträge der SPD und der Linken in einer Öffentlichen Anhörung des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales diskutiert. Es lohnt sich, das einstündige Video anzusehen, weil man einen Einblick in die sehr unterschiedlichen Positionen der Interessenvertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite erhält.
Die Anträge der Parteien findet man hier:
- Antrag der SPD-Fraktion „Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Entscheidungen stärken“ (Bundestagsdrucksache 17/2122 )
- Antrag der Fraktion Die Linke „Unternehmensmitbestimmung lückenlos garantieren“ (Bundestagsdrucksache 17/1413)
Stellungnahmen von Verbandsvertretern und Experten
- Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes
- Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI)
- Stellungnahme Prof. Heinz-J. Bontrup
Interessant ist, wie insbesondere die Vertreter der Arbeitgeber die wissenschaftlichen Studien über die wirtschaftlichen Wirkungen der Mitbestimmung einschätzen und was die Studien tatsächlich sagen bzw. wie der Stand der Forschung von (unparteiischen) Wissenschaftlern zusammengefasst wird:
1. Die (ökonomischen) Wirkung von Betriebsräten sind nach dem jetzigen Stand der wissenschaftlichen Forschung positiv. Uwe Jirjahn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier, fasst den Stand der neueren Forschung wie folgt zusammen:
In der Zusammenfassung von Jirjahn (2010: 3) heißt es:
„Während die Effekte auf Produktivität und Löhne weiterhin eine wichtige Rolle spielen, sind auch neue Aspekte wie der Einfluss auf eine familienfreundliche Personalpolitik in das Blickfeld der Forschung geraten. Aktuelle Studien deuten zudem auf positive Profitabilitäts- und Beschäftigungseffekte betrieblicher Mitbestimmung hin. Die geschätzten Effekte fallen tendenziell stärker aus, wenn die Endogenität von Betriebsräten berücksichtigt wird. Zugleich zeigt sich eine Reihe von Differenzierungen. So sprechen aktuelle Studien dafür, dass die Wirkungen von Betriebsräten nicht nur von der Tarifbindung, sondern auch vom Vorhandensein ausländischer Eigentümer und von der innerbetrieblichen Lohnungleichheit abhängen. Schließlich findet sich erste Evidenz dafür, dass organisationale Lernprozesse für die Effekte eine Rolle spielen. Während sich bei einer Reihe von Fragestellungen insgesamt eine Konvergenz der Resultate abzeichnet, gibt es bei bestimmten Fragen jedoch noch deutlichen Forschungsbedarf. So präsentieren aktuelle Studien sehr heterogene Ergebnisse, was die Lohneffekte von Betriebsräten anbelangt.“
Die Einschätzung, dass die Mitbestimmung durch Betriebsräte positive ökonomische Effekte hat, teilen auch die Arbeitgebervertreter (in der Anhörung und auch sonst).
2. Anders ist es bei der Unternehmensmitbestimmung. Sie wird in ihren ökonomischen Effekten von den Arbeitgebervertretern negativ, von den Arbeitnehmervertretern positiv eingeschätzt.
Die empirischen Befunde deuten aber – anders als die Arbeitgebervertreter behaupten – nicht auf negative Wirkungen hin, nochmals Jirjahn (2010: 3):
„Im Unterschied zu älteren Studien spricht die neuere Forschung dafür, dass sich Unternehmensmitbestimmung nicht nur positiv auf die Produktivität, sondern – unter bestimmten Bedingungen – auch positiv auf Rentabilität und Kapitalmarktbewertung auswirken kann. Gleichwohl ist noch eine gewisse Heterogenität der Resultate zu verzeichnen.“
Sicher ist es nicht einfach, die Vielzahl der Studien zusammenzufassen und zu einer eindeutigen Antwort zur Frage nach den Wirkungen der Mitbestimmung zu kommen. Und dass Interpretationen auch interessengeleitet sind, gilt für die Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite. Die Arbeitgeberseite weicht aber mit ihren Deutungen auffällig stark vom Stand der Forschung ab. Der gewiss vorhandene Deutungsspielraum wird offensichtlich nicht nur sehr stark einseitig ausgenutzt, sondern unzulässig überschritten. – Es bleibt die Frage offen: Wenn die ökonomischen Wirkungen der Mitbestimmung positiv sind, warum argumentieren Arbeitgebervertreter dann gegen Mitbestimmung bzw. für eine Einschränkung? Mitbestimmung wäre bei positiven wirtschaftlichen Wirkungen doch eigentlich in ihrem Interesse? Oder ist es so, dass es nicht um den wirtschaftlichen Erfolg allein geht, sondern um die Verteilung dieses Erfolgs, an dem man die Arbeitnehmer nicht teilhaben lassen will durch Mitbestimmung? Vielleicht muss man in der Forschung noch stärker trennen zwischen den Produktivitätseffekten einerseits und den Verteilungseffekten andererseits. Wenn für die Arbeitgeberseite das größere Stück des kleineren Kuchens größer ist als das kleinere Stück des größeren Kuchens, dann verzichtet man vielleicht auf den größeren Kuchen, den man durch Mitbestimmung zwar haben könnte, aber anders verteilen müsste. Dies erklärt möglicherweise auch, warum die Arbeitgeberseite Unternehmensmitbestimmung negativer einschätzt als die betriebliche Mitbestimmung – Unternehmensmitbestimmung hat anders als die betriebliche einen (wenngleich schwachen) Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen und damit stärkere unerwünschte Verteilungswirkungen zugunsten der Arbeitnehmer.