Eine Jury von Sprachwissenschaftlern hat “betriebsratverseucht” zum Unwort des Jahres 2009 gekürt ((http://www.unwortdesjahres.org/). Der Begriff wurde in einer Reportage des ARD-Magazins “Monitor” vom 14. Mai 2009 verwendet.
Hier das Zitat aus Monitor:
“Teilnehmer der Betriebsversammlung: “Verschiedene Redner, insbesondere Abteilungsleiter, kamen dann zur Sache. Betriebsrat. Wir brauchen keinen Betriebsrat, wir können alles selbst klären. Betriebsrat kostet nur Geld, was wir für anderes gebrauchen könnten, zum Beispiel Lohnerhöhungen. Und möchte ein Kollege in eine andere Niederlassung versetzt werden, würde ihn niemand mehr nehmen, da er betriebsratsverseucht ist…” ” (Quelle: Monitor v. 14.5.2009)
Ein Mitarbeiter sagt also etwas über den Sprachgebrauch von Vorgesetzten. Ist dies wirklich genug, um ein Wort als Unwort zu küren? Müsste das Wort nicht häufiger oder von einer prominenten Person öffentlich verwendet werden? Beides ist nicht der Fall. Eine Google-Suche noch vor der Wahl des Wortes (es war zum Recherchezeitpunkt nominiert) ergab keine weiteren Treffer außerhalb des des Kontextes der Sprachjury.
So muss man (leider) der Kritik der WELT zustimmen, die kritisiert:
“Die Jury um den Frankfurter Sprachwissenschaftler Dieter Schlosser hat damit ein echtes Unwort, ein Unwort im Wortsinne gekürt, denn es kann keine Rede davon sein, dass dieses Wort den Angehörigen der deutschen Sprachgemeinschaft geläufig wäre. Es geht erst jetzt, nachdem es an den Schandpfahl geheftet worden ist, in den Wortschatz ein. Bis dahin führte der hässliche Wortwiderling ein kümmerliches Leben im staubigen Halbschatten der Baumarktszene und wäre auch weiterhin übersehen und überhört worden, wenn nicht im Fernsehmagazin “Monitor” ein Baumarktmitarbeiter berichtet hätte, dass Abteilungsleiter in dieser Branche das Wort gebrauchten.” (Quelle: www.welt.de)
Die “Süddeutsche Zeitung” bemängelt in ihrer Online-Ausgabe, dass es bessere Kandidaten gäbe:
“Man … verkauft .. das Potential, das in Sprachbeobachtung steckt, weit unter Preis. Denn tatsächlich wird Sprache im Laufe eines Jahres ja auch markant, schleifen sich Aussagegewohnheiten ein, werden Euphemismen hof- und fernsehfähig, die nach und nach immer gedankenloser verwendet werden. Was, bitteschön, ist eine Wachstumsbeschleunigung, die hierzulande sogar gesetzlich verankert werden kann, mehr als der fromme Wunsch, Klientel-Politik möge irgendwie nach einigen Drehungen und Wendungen doch auch irgendwie der Allgemeinheit nützen. Was sollen “systemrelevante Unternehmen” sein? Für welches System sind sie denn relevant? Und wer bestimmt, was was ist? Was sind “kriegsähnliche Zustände”, die ausdrücklich kein Krieg sein sollen? Mit anderen Worten: Es hätte genug Politiker-Unworte des Jahres gegeben, in denen Sprachmissbrauch als Politikersatz betrieben wird.” (Quelle: www.sueddeutsche.de).
Bedauerlicherweise muss man dieser Kritik Recht geben. Missstände im Umgang mit Mitarbeitern (und mit der Sprache) gibt es in Unternehmen genug. Von diesen lenkt dann die (berechtigte) Kritik an der Wahl des Unwortes “betriebsratsverseucht” ab. Die Jury hat ihrem verdienstvollen und unterstützenswerten Anliegen mit dieser Wahl leider geschadet.
Die Kritik ist nachvollziehbar. Jedoch allein dadurch, dass es andere, vielleicht öfters publizierte und in der Politik verwendete Unwörter gibt, wird das jetzt gekürte nicht weniger relevant. (Vor allem, da die Presse diese Wörter teilweise unkritisiert übernimmt und damit hier Wörter vorschlägt zu dessen Verbreitung sie beiträgt.)
Ein Unwort muss nicht zwingend einen offensichtlichen “Wortbetrug” aufdecken.
Ich halte die Wahl für vorausschauend. Sie bringt ein Thema in die Öffentlichkeit, welches bisweilen überhaupt in seinem Ausmaß kaum wahrgenommen wird (außer von den Betroffenen) und gibt ihm ein Gesicht (in diesem Falle einen Begriff). Insofern ist es PR in Sachen Arbeitnehmerrechtsansprüche und kann vielleicht mehr “leisten” als eine Worthülse dessen Schale schon gepellt ist.